Willkommen bei der Gesellschaft für Familienforschung in der Oberpfalz e.V.

Vortrag von Hr. Clemens Pongratz, Historiker und Stadtarchivar von Bad Kötzting, zum Thema „Die Auswanderung eines kleinen jüdischen Mädchens“.

  • Klostermühle Altenmarkt (Altenmarkt 1, 93413 Cham)

Die Auswanderung eines kleinen jüdischen Mädchens

Die Familienforscher im Landkreis Cham der „Gesellschaft für Familienforschung in der Oberpfalz e.V.“ (GFO) trafen sich turnusgemäß am letzten Samstag in der Klostermühle Altenmarkt. Begrüßt werden konnte dazu als Referent der jahrzehntelange Historiker, Heimatforscher, Autor, Genealoge, Mitbegründer des „Arbeitskreis Heimatforschung und Bad Kötztinger Stadtarchivar Hr. Clemens Pongratz aus Sinzing.

Das Thema seines Vortrages war „Die Auswanderung eines kleinen jüdischen Mädchens“. Pongratz stellte sich und seine intensiven Forschungen vor und erzählte mit fundiertem Wissen vom Leben des Kötztinger Mädchens Susanne Kirschner und dem traurigen Schicksal ihrer Familie. Viele Mitglieder dieser Familie fielen dem Naziterror zum Opfer.

Das Schicksal und das Leben der Kötztinger jüdischen Familien

ist laut Pongratz so komplex und mit so vielen Ereignissen in Bad Kötzting verbunden, dass sich der Referent bereits seit Jahren diesem Thema intensiv und breitgefächert widmet. Im Zuge der Recherche traten allerdings so viele überraschende Details zutage, die sich nicht alleine auf die Kirschner Susi bezogen, sondern teilweise auch auf ihren jüngeren Bruder Alfred und ihre Cousins, dass es den Überblick erleichterte, den Bogen größer zu spannen.

Die Familie Kirchner

Susanne Kirschner wurde geboren am 22.November 1927. Sie war die Tochter von Alice (geb. Klein, aus einer begüterten Tirschenreuther Kaufmannsfamilie) und Julius Kirschner, genannt „Kirschner Juler“, einem in den 1920er Jahren hochgeachteten Kötztinger Bürger. Die Familie war beliebt und sehr gut in der Kötztinger Bürgerschaft integriert und Teil des alltäglichen Lebens. Der Kirschner Juler hatte das Kaufmannsgeschäft (Lebensmittel, Kleidung, Leder, Pelze) von seinem Vater Moritz Kirschner übernommen, war geschäftstüchtig und Mitbegründer, sowie zuverlässiger Geldgeber für den FC Kötzting. Julius Kirschner hatte bereits im März 1933 unter unwürdigen Bedingungen den Vorsitz des FC Kötzting abgeben müssen.

Paula Dittrich beschreibt in einem ihrer Bücher „Erinnerungen an die, denen Kötzting Heimat war wie uns“ die Familie Kirschner als eine Familie, die „…..eine offene Hand und ein offenes Herz hatte. Schulkinder fanden im Hof einen allezeit und für alle zugänglichen Spielplatz, und für manchen, dem der Schulweg zu weit und die Mittagspause deshalb zum heimgehen zu kurz war, gab es eine warme Mahlzeit. Wenn ein schmächtiges Bübl einen Hasenbalg oder ein Katzenfell zum alten Kirschner brachte, der auch Häute aufkaufte, so bekam er immer um ein paar Zehnerl mehr dafür als einer, der´s nicht so nötig hatte.“

Susanne Kirschner ging in Kötzting zur Schule und musste bereits in sehr jungen Jahren alle staatlichen Formen der Diskriminierung miterleben. Sie musste erleben, dass die lokale SA vor dem Geschäft ihres Vaters Posten stand um zu verhindern, dass Kötztinger Kunden das Geschäft betraten. In zeitlichem Zusammenhang mit den Ausschreitungen bei der Reichsprogromnacht im November 1938 wurden die beiden Kötztinger Geschäftsinhaber Kirschner und Hahn - die bereits wenige Tage

vorher verhaftet worden waren - aus Dachau antransportiert und mussten - unter Androhungen - die vorbereiteten Verkaufsurkunden für ihre Häuser unterschreiben. Es wurde der Familie Kirschner dann gerade noch für ein halbes Jahr zugestanden in ihrem, eigentlich eigenen, Haus, wohnen zu bleiben.

Aus dem eigenen Haus vertrieben, fand die Familie Kirschner noch für eine gewisse Zeit Unterkunft im oberen Markt. Es war hier der glückliche Umstand, dass es zwischen den benachbarten Häusern Schrödel und Kirschner Kontaktmöglichkeiten gab, die von der Straßenseite her nicht kontrolliert werden konnten. Im Frühjahr 1939 dann stellte der Vater einen Auswanderungsantrag. Es war wohl innerhalb der Juden in Deutschland die Meinung vorherrschend, dass die Nazis nicht hart gegen Frauen und Kinder vorgehen würden. Deshalb sei es nur für Männer notwendig, ihr Leben zu retten und außer Landes zu kommen. Währenddessen blieben Alice Kirschner und ihr kleiner Sohn Alfred unter diesen falschen Voraussetzungen in Deutschland und wurden Jahre später in Sobibor ermordet.

Vertreibung aus Kötzting

Die Eintragungen, mit den nachträglichen handschriftlichen Ergänzungen, lassen das Schicksal der Familienmitglieder deutlich werden: Susanne und Alfred wurden offensichtlich mit Datum 8. Juli 1939 nach München abgemeldet, während die Eltern erst zum 20. Juli als, nach Regensburg verzogen, vermerkt sind. Trotz dieser Trennung, oder besser Zwangsumsiedlung, kam es am Ende anders.

Susanne und ihr Vater versuchten unabhängig voneinander nach Palästina zu entkommen, während Alfred wieder mit seiner Mutter vereint wurde und beide dann für längere Zeit in Berlin sich aufhielten, bevor sie dann in dem Vernichtungslager Sobibor ermordet worden waren. Bei der Mutter ist ein Todesdatum vom 8.5.1945 vermerkt, dem Tag des Kriegsendes. Es erscheint eher ein symbolisches Datum zu sein.

Pongratz zeigte auf, dass Susanne im November 1939 offensichtlich schon lange in einem Waisenhaus in München lebte. Die oberbayerischen - durch den Umzug nach München wurde Susanne Oberbayerin - "Judenakten" wurden alle bei der Polizeidirektion München gesammelt und dort wurde auch ein Akt für ihren Auswanderungsantrag angelegt.

Die Empfangsbestätigung für ihren Pass, den sie für die Einwanderung nach Palästina brauchte, unterschrieb sie mit „Susi Kirschner“. Danach wurde sie offensichtlich darauf aufmerksam gemacht, dass das nicht mehr ihr richtiger Name gewesen war. Seit dem 1.1.1939 bekamen alle Menschen jüdischer Abstammung in Deutschland, durch Gesetz, neben dem Judenstern auch noch einen verpflichteten Namenszusatz aufgedrückt. Susanne Theresia Kirschner hieß ab dem Zeitpunkt verpflichtend Susanne Sara Theresia Kirschner und hatte diesen Zusatznamen auch immer zu verwenden. Die„Jewish Agency for Palestine“ erteilte, auf Antrag der Familie Klein (Alice‘ Bruders Ludwig Klein, der bereits in den 1920er Jahren nach Palästina auswanderte und lebenswichtige Anlaufstelle für die wenigen Familienmitglieder war, die es lebend nach Palästina geschafft hatten) eine Einwanderungs-Erlaubnis für Palästina. Dazu benötigte Susanne Kirschner einen Pass. Nun musste alles schnell gehen, denn am 1.12.1939 wurde der Pass genehmigt und der Bleistiftvermerk sagte aus:

Sichtvermerk am 1.12.1939 nach Palästina zur einmaligen Ausreise bis zum 31.12.1939.

Nun begannen die Mühlen er deutschen Bürokratie zu mahlen: bei der Stellungnahme der Devisenüberwachungsstelle hieß es lapidar: ist erst 11 Jahre alt. Auch von der Auswanderungsstelle, der israelitischen Kultusgemeinde, vom Einziehungsamt, vom Finanzamt und natürlich von der NSDAP mussten Bestätigungen eingeholt werden. Auf die Ausstellung einer Unbedenklichkeits-Bescheinigung von Seiten der Gestapo wurde verzichtet. So entkam das kleine Mädchen Susanne Kirschner aus Bad Kötzting im Dezember 1939 den Nazischergen.

Pongratz erläuterte den Familienforschern anhand der jahrelang gesammelten Unterlagen den weiteren Weg der einzelnen Mitglieder der Familie Kirschner auf. Er zeigte auch ausführlich die überraschenden Hilfestellungen via Facebook und den unkomplizierten internationalen Austausch unter Familienforschern auf – unter anderem durch den „Rechercheverbund“ in Israel, den USA und Deutschland.

Pongratz ging in seinem sehr interessanten Vortrag auch auf die Vorteile der DNA-Genealogie ein und gab Hinweise auf inhaltlich interessante Protokolle von Spruchkammerverfahren. In diesen sind viele Details aus dem Alltag im Dritten Reich dokumentiert.

Zum Abschluss bedankte sich Franz Dirschedl in Vertretung der erkrankten Leiterin der GFO-Familienforscher im Landkreis Cham, Elfriede Dirschedl, herzlich beim Referenten Clemens Pongratz für diesen überaus interessanten Vortrag.

 

Bericht erstellt v. Elfriede Dirschedl, 1. Vorstand GFO, Leitung AK Cham